Bürgergeld: Anreize für Arbeit erhöhen, Fördern und Fordern, Bürokratie verringern!

Von derzeit 5,5 Mio. Bürgergeld-Beziehern sind 4 Mio. erwerbsfähig, davon arbeiten 800.000 ("Aufstocker"). Warum arbeiten die übrigen nicht oder nur wenig?  Liegt das auch daran, dass Bürgergeld-Bezieher bei zusätzlichen Arbeitseinkünften 80-90% des Mehrverdienstes, in einzelnen Fällen sogar 100% abgeben müssen?  Welche bezahlbaren Reformvorschläge sind geeignet, die Zahl der Bürgergeld-Empfänger deutlich zu verringern?
 
Darüber diskutierten am 12. Dezember 2024 auf Einladung des Politischen Forums mehr Mut zur Tat 


Prof. Dr. Enzo Weber, Leiter "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit 


Ralf Bierstedt, bis 30.9.2024 Leiter des JobCenters Münster


Markus Kurth, MdB (Grüne, Dortmund) und

Dr. Stefan Nacke, MdB (CDU, Münster), beide Mitglieder im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales 

 

Bierstedt wies auf mangelnde Qualifikationen als wesentliche Gründe für Bürgergeld-Bezug von Erwerbsfähigen hin, in Münster haben z.B. 46% keine Schulabschluss, 68% keinen Berufsabschluss, sind in der Folge oft langzeitarbeitslos. Solche Menschen in Berufstätigkeit zu bringen setzt intensive Beratung und auch Unterstützung durch Unternehmen voraus, die dafür Zuschüsse bekommen können. 

 

Von den 5,5, Mio. Bürgergeld-Empfängern sind 2,6 Mio. Ausländer, vor allem Ukrainer. Deren im europäischen Vergleich niedrige Erwerbsquote liegt oft an den Sprachfähigkeiten. Für die vom BAMF organisierten Sprachkurse gibt es oft lange Wartezeiten. Manche Vermittlung könnte auch mit geringeren als zentral vorgegebenen Sprachkenntnissen gelingen. Weber wies darauf hin, dass sich Sprach- und Integrationskurse langfristig aus­zahlen: zwei Drittel der 2015/16 gekommenen Flüchtlinge haben inzwischen reguläre Arbeit.

 

Die Mitarbeiter in den JobCentern müssen sich um viele "Kunden" kümmern und haben oft zu wenig Zeit für intensive Beratung. Die Regeln sind sehr komplex und zielen auf möglichst große Einzelfall-Gerechtigkeit, Bescheide haben oft 10-12 Seiten, Rückforderungsbescheide bis zu 40 Seiten. Ziel muss eine größere Pauschalierung sein, so Kurth, auch weitere Digitali­sierung, die nach seiner Einschätzung in den JobCentern und der Bundesagentur für Arbeit schon recht weit gediehen sei. 

 

"Fördern und Fordern" – dabei muss das Fördern im Vordergrund stehen. Lt. Weber bringt intensivere Beratung und Betreuung nachweislich mehr Menschen in Arbeit. Fordern sei aber auch wichtig, das zeigen Untersuchungen; allein die Erwartung, dass man bei Nicht­erscheinen in einzelnen JobCentern eher mit Sanktionen (Leistungskürzungen) zu rechnen habe, führt zu höherer Kooperation der Bürgergeld-Bezieher. Aber weniger als 1% sind sog. "Totalverweigerer", auch wenn das nur die sind, die es auf Leistungskürzungen ankommen lassen. 

 

Wie groß der Einfluss der "Behaltequoten" bei steigendem Arbeitseinkommen sind, blieb offen. Diese sind jedenfalls in weiten Bereichen sehr niedrig, von zusätzlichem Arbeits­einkommen oberhalb des Mindestlohns bleiben oft nur 20 oder gar 10%, in Städten mit teurem Wohnraum sogar nichts. Das führt zu einer großen Zahl von Minijobbern, in Münster die Hälfte der Aufstocker. Nacke plädiert daher für die Abschaffung der Minijobs, auch mit Blick auf die Altersvorsorge. Auch hat Deutschland im EU-Vergleich überdurchschnittlich hohe Teilzeitquoten, vor allem bei Frauen. Eine Erhöhung der Arbeitszeit bringt oft wenig, und wird daher abgelehnt, auch wenn es wohl oft auch andere Motive dafür gibt. 

 

IAB und Ifo-Institut haben Reformmodelle vorgelegt, die Behaltequoten von durchgängig bis zu 30% ermöglichen. Dazu müssten aber die verschiedenen Systeme von Bürgergeld, Wohn­geld, Kinderzuschlag usw. zu einem einheitlichen, schlanken System zusammengefasst werden, das wohl mit den bisherigen Budgetmitteln auskommen und in JobCentern und BA mehr Freiräume für die Beratung ermöglichen kann. Zum Bürgergeld ist das die zentrale Herausforderung für die Politik der nächsten Legislaturperiode.